Mechanisch gesteuerte Ionenkanäle
Mechanisch gesteuerte Ionenkanäle sind spezialisierte Membrankanäle, die so aufgebaut sind, dass sie auf eine Vielzahl mechanischer Reize reagieren, darunter Vibration, Druck, Scherkräfte und Schall.
Sie kommen vor allem in sensorischen Organen vor und spielen eine zentrale Rolle bei der Umwandlung mechanischer Kräfte, die auf die Zellmembran wirken, in Veränderungen des Membranpotentials. Diese Potentialänderungen ermöglichen die Erzeugung elektrischer Signale, die über sensorische Neurone an das zentrale Nervensystem (ZNS) weitergeleitet werden.
Dieser Artikel beschreibt die Physiologie, den Aufbau und die Funktion mechanisch gesteuerter Ionenkanäle.
Definition | Ionenkanäle, die auf mechanische Reize reagieren und Veränderungen des Membranpotentials auslösen |
Arten | ENaC (Epithelialer Natriumkanal) / Degenerin Kanal-Familie; TRP-Kanäle (transient receptor potential); Mechanisch gesteuerte Kaliumkanäle; Piezo-Kanäle |
Funktionen | Mechanisch gesteuerte Ionenkanäle spielen eine zentrale Rolle in den folgenden sensorischen Systemen: Mechanosensitive sensorische Neurone, die für die Wahrnehmung von leichten Berührungen, Vibrationen, Druck, Propriozeption und schädlichen mechanischen Reizen zuständig sind. Cochleäre und vestibuläre Haarzellen, die an der Physiologie des Hörens und des Gleichgewichts beteiligt sind Mechanosensitive Zellen des Endothels und der glatten Muskulatur des Herz-Kreislauf-, des Atemwegs- und des Harnsystems. |
Arten
Mechanisch gesteuerte Ionenkanäle sind in eukaryotischen Zellen im Verhältnis zu bakteriellen Systemen bisher relativ wenig erforscht. Im Folgenden gehen wir auf einige der bereits identifizierten mechanisch gesteuerten Ionenkanäle ein.
ENaC (Epithelialer Natriumkanal) / Degenerin Kanal-Familie
Der epitheliale Natriumkanal ist ein mechanisch gesteuerter Ionenkanal, der konstitutiv offen und hauptsächlich für Natriumionen durchlässig ist. ENaC sind in unterschiedlichen Geweben vorzufinden, wie in der Lunge, im Colon und in der Niere. In den Sammelrohren und Tubuli der Niere spielen sie eine besonders wichtige Rolle bei der Rückresorption von Natrium. Das Mineralokortikoid Aldosteron fördert die Synthese und den Einbau epithelialer Natriumkanäle in die Zellmembran.
Zur gleichen Familie wie der epitheliale Natriumkanal gehören die Degenerine, auch wenn diese vielen noch weitgehend unbekannt sind. Es handelt sich dabei allerdings um die ersten mechanisch gesteuerten Ionenkanäle, die in Eukaryoten identifiziert werden konnten. Später wurden diese Natriumkanäle auch in somatosensorischen Neuronen von Nematoden nachgewiesen.
Die ENaC / Degenerin Kanal-Familie zeichnet sich durch eine genetische Sequenzhomologie aus. Das bedeutet, dass die verschiedenen Gene, die für die Degenerine und die epithelialen Natriumkanäle (ENaC) kodieren, bestimmte Ähnlichkeiten vorweisen.
TRP-Kanäle
TRP-Kanäle (Transient receptor potential channels) bilden eine evolutionär konservierte Familie an nichtselektiven Kationenkanäle, die anhand ihrer Sequenzhomologien in sieben Unterfamilien eingeteilt werden. Diese Ionenkanäle sind vor allem für ihre Beteiligung an der Temperatur- und Schmerzwahrnehmung bekannt.
TRP-Kanäle sind allgemein essentiell für eine Vielzahl sensorischer Funktionen und reagieren dabei auf verschiedene Reize wie Spannung, Temperatur, kleine Moleküle (Liganden) und mechanische Kräfte. Bislang wurden drei Mitglieder dieser Ionenkanal-Familie identifiziert, die zu den mechanisch gesteuerten Ionenkanälen gehören:
- TRPA: Diese Kanäle werden in erster Linie mit der Thermozeption in Verbindung gebracht. Neuere Studien haben gezeigt, dass sie ebenfalls im Bereich der Somatosensibilität eine Rolle spielen. Ein bekanntes Beispiel ist der TRPA1-Kanal, der für die Wahrnehmung schmerzhafter Kälte zuständig ist und auf eine Vielzahl chemischer Substanzen reagiert. Außerdem soll dieser Kanal für die erhöhte Schmerzempfindlichkeit im Rahmen einer Entzündung verantwortlich sein.
- TRPN: Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass TRPN-Kanäle eine wichtige Funktion bei der Reaktion auf leichte Berührung sowie bei der Propriozeption übernehmen.
- TRPV: In Fruchtfliegen (Drosophila) sind TRPV-Kanäle am Hörvorgang beteiligt, während sie bei Säugetieren hauptsächlich als thermisch, jedoch auch als mechanisch gesteuerte Ionenkanäle bekannt sind. Der TRPV1-Kanal reagiert beispielsweise auf Dehnung und Scherkräfte, allerdings auch auf leichte Erwärmung der Haut.
Mechanisch gesteuerte Kaliumkanäle
Das traditionelle Modell der neuronalen Aktivierung ist durch die Öffnung von Natriumkanälen und der daraus erfolgenden Depolarisation geprägt. Im Gegensatz zu den Natriumkanälen führen mechanisch gesteuerte Kaliumkanäle jedoch zu einer Hyperpolarisation des Membranpotentials und verringern dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Aktionspotential generiert wird.
Die physiologische Funktion dieser Ionenkanäle in der Mechanotransduktion ist nach wie vor unklar, allerdings konnten bisher zwei Kanäle dieser Familie in Neuronen von Säugetieren nachgewiesen werden. Dabei handelt es sich um die Mitglieder 2 und 4 der Kaliumkanal-Unterfamilie K (KCNK2 bzw. KCNK4). Ihre Aktivität wird durch eine Vielzahl von Reizen moduliert, darunter mechanische Kräfte, Temperatur und spezifische Moleküle (Liganden).
Bei einer mechanischen Krafteinwirkung kann die Dehnung der Membran zu einer Aktivierung mechanisch gesteuerter Kaliumkanäle führen.
Piezo-Kanäle
Piezo-Kanäle, die auch als Piezo-Proteine oder Piezo-Rezeptoren bekannt sind, bilden eine erst kürzlich entdeckte Familie von mechanisch gesteuerten Kationenkanälen, zu der die Kanäle Piezo1 und Piezo2 gehören.
Piezo-Kanäle sind große Proteine, die aus etwa. 2.500 Aminosäuren bestehen und zahlreiche transmembrane Domänen aufweisen. Ihre Verteilung variiert gewebespezifisch, wobei sie aufgrund ihrer Beteiligung an essentiellen physiologischen Prozessen bei Säugetieren gegenüber anderen Familien mechanisch gesteuerter Ionenkanäle dominieren.
Diese physiologischen Prozesse umfassen neben ihrer Funktion im sensorischen Nervensystem auch die Regulation des Erythrozytenvolumens, die Zellteilung und die unspezifische (angeborene) Immunabwehr. Zudem wurden Mutationen in Piezo-Kanälen mit mehreren hereditären Erkrankungen des Menschen in Verbindung gebracht, wie der autosomal-rezessiven generalisierten lymphatischen Dysplasie nach Fotiou, der hereditären Xerocytose sowie einem autosomal-rezessiven Syndrom, das durch Muskelatrophie und perinatale Atemnot gekennzeichnet ist.
Piezo1-Kanäle
Piezo1 kommt in unterschiedlichen sensorischen und nicht-sensorischen Geweben, wie beispielsweise in der Lunge, den Harnwegen und dem Herz-Kreislauf-System vor. Dabei spielt er durch seine Empfindlichkeit für leichte mechanische Stimuli eine wichtige Rolle in der Entstehung inflammatorischer Prozesse. Aktuelle Forschung zielt genau auf diesen Punkt ab, in der Hoffnung, neue Therapiemöglichkeiten in der Behandlung und Prävention chronisch inflammatorischer Erkrankungen zu entwickeln.
- In der Lunge ist Piezo1 in vaskulären Endothelzellen sowie in Typ-II-Pneumozyten vorhanden und für die Anpassung an erhöhten alveolären und hydrostatischen Druck verantwortlich.
- In den Harnwegen misst Piezo1 Veränderungen des Flüssigkeitsstroms und des Füllungsdrucks innerhalb der Harnblase.
- Im Herz-Kreislauf-System kommt es durch Scherkräfte zur Aktivierung von Piezo1-Kanälen in Endothelzellen, was zu einer erhöhten Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO) und einer Gefäßerweiterung führt. Somit spielt er eine wichtige Rolle beim Barorezeptorreflex sowie im Rahmen des vaskulären Remodelings.
Piezo2-Kanäle
Piezo2-Kanäle spielen eine zentrale Rolle in sensorischen Rezeptoren, insbesondere in der Haut, den Muskeln und den inneren Organen. Daher werden Piezo2-Kanäle in hoher Dichte in sensorischen Neuronen exprimiert, die für Propriozeption und Tastsinn verantwortlich sind, vor allem in Merkel-Zell-Axon-Komplexen. Eine klinische Relevanz wird ihnen beispielsweise im Rahmen der Entwicklung einer Allodynie, also dem schmerzhaften Empfinden einer eigentlich angenehmen Berührung im Rahmen chronisch inflammatorischer Prozesse, zugesprochen.
Funktionen
Mechanisch gesteuerte Ionenkanäle sind an verschiedenen physiologischen Prozessen beteiligt. Sie kommen in folgenden Bereichen vor:
Mechanosensitive sensorische Neurone
Mechanisch gesteuerte Ionenkanäle in der Membran mechanosensitiver sensorischer Neurone, spielen eine zentrale Rolle in deren Funktionsweise. Diese Neurone sind sowohl für die Wahrnehmung sensorischer Empfindungen wie leichter Berührungen, Vibrationen, Druck, Propriozeption und schädlicher mechanischer Reize zuständig, als auch für die Umwandlung dieser Empfindungen in elektrische Signale. Dies erfolgt durch das Generieren einer bestimmten, an den Reiz angepassten Aktionspotentialfrequenz, über die die Informationen an das ZNS weitergeleitet werden. Mechanosensitive sensorische Neurone bilden mit ihren freien Nervenendigungen einen Teil verschiedener Mechanorezeptoren. Diese werden allgemein in zwei Hauptkategorien eingeteilt: Mechanorezeptoren mit niedriger und Mechanorezeptoren mit hoher Reizschwelle.
Mechanorezeptoren mit niedriger Reizschwelle
Mechanorezeptoren mit niedriger Reizschwelle reagieren auf äußere und innere mechanische Reize. Propriozeptoren sind für die Wahrnehmung innerer mechanischer Kräfte verantwortlich, die aus dem muskuloskelettalen System stammen. Sie liefern Informationen über die Position der Extremitäten und anderer Körperteile im Raum. Zu den Propriozeptoren zählen Muskelspindeln, Golgi-Sehnenorgane und Gelenkrezeptoren. Mechanorezeptoren, die äußere Reize erkennen, befinden sich überwiegend in der Haut und reagieren auf leichte, harmlose mechanische Einwirkungen.
Es gibt vier unterschiedliche Mechanorezeptoren der Haut: Ruffini-Körperchen, Meissner-Körperchen, Vater-Pacini-Körperchen und Merkel-Zell-Axon-Komplexe.
Mechanorezeptoren mit hoher Reizschwelle
Nozizeptoren reagieren auf eine Vielzahl schädlicher Reize, darunter chemische, thermische (Kälte und Hitze) sowie mechanische Noxen. Diese Neurone exprimieren vor allem die Ionenkanäle TRPV und TRPA. TRPV-Kanäle reagieren auf Entzündungsprozesse und Juckreiz, während TRPA-Kanäle an der Wahrnehmung des histaminunabhängigen Juckreizes beteiligt sind. Der genaue Reaktionsmechanismus dieser mechanisch gesteuerten Rezeptoren auf schädliche Reize ist bislang noch nicht vollständig geklärt. Mechanorezeptoren mit hoher Reizschwelle bestehen überwiegend aus freien Nervenendigungen, die die Epidermis dicht innervieren.
Es wird angenommen, dass dünne myelinisierte Aδ-Nervenfasern schnelle mechanische Schmerzen vermitteln und auf schädliche Wärme- oder Kältereize reagieren, während dünne nicht myelinisierte C-Fasern ausschließlich auf mechanische Reize reagieren und durch eine langsame Leitungsgeschwindigkeit gekennzeichnet sind.
Cochleäre und vestibuläre Haarzellen
Mechanisch gesteuerte Ionenkanäle sind an den physiologischen Prozessen des Hörens und des Gleichgewichts beteiligt. Sie befinden sich auf spezialisierten Zellen des Innenohrs, den sogenannten Haarzellen. Diese weisen an ihrer apikalen Oberfläche Fortsätze auf, die als Stereozilien bezeichnet werden. Die Stereozilien sind in Reihen angeordnet, die sich in aufsteigender Höhe staffeln. Die koordinierte Bewegung der Stereozilien wird durch seitliche Verbindungen zwischen den einzelnen Stereozilien, die sogenannten Tip-Links, ermöglicht. Der Teil der Membran, an dem die Tip-Links befestigt sind, weist eine hohe Dichte an mechanisch gesteuerten Ionenkanälen auf.
Die Bewegung der Stereozilien von den kürzeren hin zu den längeren infolge mechanischer Reize führt zu einer zunehmenden mechanischen Spannung. Dies führt zur Öffnung mechanisch gesteuerter Ionenkanäle und somit zu einen Einstrom von Kationen, insbesondere Kalium (K⁺) und Calcium (Ca²⁺). Als Folge dieser Kationenströme kommt es zur Depolarisation der Membran der Haarzelle, wodurch ein Rezeptorpotenzial entsteht, das zur Ausschüttung von Neurotransmittern führt.
Umgekehrt führt die Bewegung der Stereozilien weg vom längsten Stereozilium zur Schließung dieser Kanäle. Dies hat eine Hyperpolarisation der Haarzelle und eine Hemmung der elektrischen Aktivität zur Folge.
Je nach ihrer Physiologie und Lokalisation unterscheidet man zwischen cochleären und vestibulären Haarzellen. Cochleäre Haarzellen, die sich, wie der Name es vermuten lässt, in der Cochlea befinden, wandeln mechanische Reize in Form von Schallvibrationen in elektrische Signale um. Diese werden anschließend ans Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet. Vestibuläre Haarzellen hingegen erfassen die Position des Kopfes und dessen Bewegungen und wandeln selbst kleinste Verschiebungen in Rezeptorpotentiale um.
Mechanosensitive Zellen des Endothels und der glatten Muskulatur
Endothel- und glatte Muskelzellen reagieren auf mechanische Reize, die Konformationsänderungen membranständiger Proteine auslösen können. Piezo1-Kanäle sind in beiden Zelltypen nachweisbar und werden durch Scherkräfte sowie Dehnung der Zellmembran aktiviert, etwa bei erhöhtem Blutdruck oder verstärktem Blutfluss. Sie regulieren unter anderem die Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO) und somit auch den Gefäßtonus und den Blutdruck.
Auch Zellen des Alveolarepithels und des pulmonalen Endothels sind mechanischer Belastung ausgesetzt. In Typ-II-Pneumozyten und Gefäßendothelzellen übernimmt Piezo1 eine zentrale Rolle bei der Anpassung an alveoläre und hydrostatische Druckverhältnisse.
Im Harntrakt erkennen Piezo1 und TRPV4 die Dehnung der Blasenwand. Durch den ausgelösten Kalziumeinstrom (Ca²⁺) tragen sie wesentlich zur Initiierung des Miktionsreflexes bei.
Mechanosensitivität
Auch wenn die Begriffe „mechanisch gesteuerte Ionenkanäle“ und „mechanosensitive Kanäle“ auf den ersten Blick austauschbar erscheinen, werden sie differenziert. Mechanisch gesteuerte Ionenkanäle reagieren direkt auf mechanische Reize, während der Begriff der Mechanosensitivität allgemein Ionenkanäle bezeichnet, die die Fähigkeit besitzen, auf mechanische Reize zu reagieren, auch wenn diese nur modulierend wirken und diese Kanäle primär auf andere Reize ansprechen. Zu dieser weiter gefassten Kategorie zählen sowohl mechanosensitive spannungsgesteuerte als auch mechanosensitive ligandengesteuerte Kanäle.
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